ÜBER MICH
Ich bin, und sobald ich zu beschreiben versuche, wer, wie und was, dreht sich alles um Sicht- und Greifbares. Meine Worte lassen scheinen, wer ich bin ... ohne mich in meinem Dasein und meiner
vollkommenen Wirklichkeit zu erfassen. Dennoch ziere ich mich nicht und probiere, einen möglichst klaren Schein meines Seins zu erzeugen und Ihnen Gelegenheit zu geben, mich ein wenig kennen zu lernen.
Jutta Riedel-Henck, so ist mein Vor- und Nachname: Geboren wurde ich am 22. Juli 1961 in Aachen. So weit ich zurücksinnen und -denken kann, war ich ein äußerst waches Kind, lernbegierig,
intelligent, sensibel, aber auch schüchtern und ein wenig frech. Im Verhalten meiner Eltern konnte ich keine eindeutige Erziehungsmethode erkennen. Ich erinnere mich noch an einen Moment, als sei es
jetzt, da ich unter dem Tisch unseres Esszimmers saß und mir selbst befahl, ich müsse immer schön brav sein, weil ich meinen Eltern ein ungehorsames Kind nicht zumuten könnte. Ich war das, was Alice
Miller in ihrem »Drama des begabten Kindes« beschreibt, ein stets verständiges Kind, das jede Regung um sich herum wahrnahm, voller Einsicht in die Belange und Probleme seiner Nächsten, allen voran der
eigenen Eltern. Ich erzog mich selbst aus Angst, meine Eltern würden zusammenbrechen, wenn ich mich ihrem Lebenswandel in den Weg stellte.
Heute habe ich noch immer den Eindruck, dass ich eine gute Schauspielerin war. Nach wie vor steckt das Bild der braven, verständigen Tochter und Schwester in den Vorstellungen meiner Verwandten, während
ich selbst längst weitergegangen bin: meinen Weg in die Selbständigkeit.
Ich war einsam, ob in Gesellschaft oder allein, zutiefst in mich gekehrt, meine Welt in mir tragend und schützend vor unerwünschten Eingriffen. Echte Gespräche, Auseinandersetzungen und Begegnungen gab es
kaum in meiner Familie, wir lebten nebeneinander her, arrangierten uns unausgesprochen, als wollte jeder nur seine Ruhe haben. Mein drei Jahre älterer Bruder war mir der Nächste, mein Vater selten zu
Hause, meine Mutter mit ihrer Gesangskunst beschäftigt, ihrem Beruf, ihren »Karrierewünschen«. Die familiäre Trostlosigkeit ließ mich Freiräume ausschöpfen, die »behüteten« Kindern verschlossen blieben.
Ich empfand keine Trauer und wollte schon gar nicht bedauert werden, denn Geborgenheit fand ich überall, sei es unter einem Baum, in Gesellschaft fremder Menschen, bei einer Fliege oder Blume, suchte ich
doch keinen Schoß der Familie, um diesen gegen den Rest der Welt zu verteidigen, sondern einfach nur Leben, Unterhaltung, Gesellschaft ...
Diese Vorbehaltlosigkeit weiß ich heute zu schätzen, wenn ich auch meine persönlich erfahrene »Erziehung« nicht als vorbildlich hinstelle. Familiäre Geborgenheit ist durchaus eine positive, wünschenswerte
und seelenschützende Voraussetzung für die gesunde Entwicklung eines Kindes. Festhalten und Loslassen in Einklang zu bringen auf der Grundlage eines Urvertrauens zu seinen Eltern halte ich für
lebenswichtig und erstrebenswert.
Seit meinem fünften Lebensjahr wuchs ich in Bremen auf. Die Grundschule besuchte ich mit Hingabe, auf dem Gymnasium sollte sich das rasch ändern. Im Vergleich zu meiner Grundschullehrerin konnte ich meine
neue Klassenlehrerin nicht ernst nehmen, sie wirkte weinerlich, kindisch, rasch beleidigt, wenn wir nicht so taten wie sie wollte. Besonders mir gegenüber leistete sie sich gehässige und erniedrigende
Spielchen. Einmal hatte ich ihr mein Poesiealbum geliehen, sie möge etwas hineinschreiben. Am nächsten Tag kam ich in den Klassenraum und las an der Tafel: »Jutta schreibt Fasching mit Pf«. Diese Art
Zensur und Kritik hat mich geprägt. Liebevolle Gesten meinerseits mit unwesentlichen, aber öffentlich entblößenden »sachlichen« Korrekturen zu entstellen, war und ist für mich eine der schlimmsten
Strafen und entwürdigendsten Gesten gegenüber einem lernbedürftigen, offenen, ehrlichen jungen Wesen.
Da ich meine Verletzheit nie vergessen habe, weder in diesem noch in unzähligen anderen Fällen, horche ich mehr als zuvor in mich hinein, wenn ich anderen Menschen, ob klein, ob groß, näher komme, um
jedes Wort, jede Geste, jeden Funken einer Regung zu beobachten, analysieren, »auf die Goldwaage zu legen«, zu hinterfragen, was ich nicht einsehen kann, Ungerechtigkeiten zu erspüren und auszusprechen,
auf der Suche nach einer besseren, gesünderen, liebevolleren und »menschlicheren« Art und Weise, einander zu begegnen, miteinander zu leben.
Ein »Friede-Freude-Eierkuchen«-Mensch bin ich deshalb nicht, wer mich ärgert, wird nicht mit einem Küsschen dafür »belohnt«, das Bild des leidtragenden Jesus’ am Kreuz ist mir ein Mahnmal, ebenso wie all
die unglücklichen verwahrlosten Kinder, auf deren Seelen ausgetragen wird, was die Erwachsenen mit Hingabe verdrängen. Wer glückliche Kinder will, muss dafür kämpfen, und zwar zunächst mit sich selbst,
statt immer nur nach Obrigkeiten Ausschau zu halten oder einem himmlischen Retter, der ihnen die Verantwortung abnimmt. Wie sollen Kinder ihren Eltern, Lehrern, Vorgesetzten trauen, wenn diese sich
selbst nicht begreifen, geschweige denn verantworten können, was sie tun?
Genug der langen Rede ... ich wiederhole mich ... in anderen Texten ... leider ... weil es nach wie vor akut unter meinen Nägeln brennt und wütet in meinem Bauch ... möge diese Energie gesunde Wege finden
... denn Aggressionen wirken nur kriegerisch, wenn sie nicht erreichen, was das Herz in seinem Innersten sucht.
Jutta Riedel-Henck, Januar 2001
Mehr zu meiner Person auch auf den Seiten Musik-aus-dem-Jetzt, Kompost-Verlag und Trostreich.
nächste Seite
© 2001 Jutta Riedel-Henck
|