Presseberichte
Briefkastentanten

Briefkasten-Tanten
als ErziehungsberaterInnen

von Heide Rohringer

 

Zunehmend häufig beglücken uns Printmedien und Newsletter mit Erziehungsrezepten. All diesen Ratschlägen gemeinsam und bestechend ist die offensichtliche Einfachheit, mit der man & frau Alltagskrisen bewältigen kann.

Leider ist das Leben mit Kindern aber nicht so einfach wie das Zusammenbauen eines neuen Regals, denn Kinder sind weder Serienprodukte noch vorgebohrt.

Erfahrene Eltern und Erzieher wissen, dass das „sichtbare“ Verhalten von Kindern immer nur ein Signal ist und die tatsächlichen Ursachen sehr unterschiedlich sein können. Den vielfältigen, alltagsbestimmenden Nebensächlichkeiten und spontan auftretenden Besonderheiten stets mit dem passenden Elternverhalten zu begegnen, ist äußerst schwierig und auf die Gesamtentwicklung eines Kindes bezogen beinahe unmöglich.

Spontanes Kinderverhalten ist, wie die spontane Elternreaktion auch, immer momentbezogen und gefühlsorientiert. Da auch kompakte Kurzanleitungen in ihrer Gesamtheit zu schwer wiegen, um sie ständig bei sich zu tragen, hat man/frau im Bedarfsfall selten ein Nachschlagewerk zur Hand. Da unterschiedliche Ratgeber durchaus Widersprüchliches fordern, haben sehr belesene und umfassend informierte Eltern wieder die Qual der Wahl.

Im Reigen unterschiedlichster Überzeugungen und Ammenweisheiten bleibt „richtig“ ohnehin eine Variable, die jeder anders auslegt. Da die Erziehungstrends und damit die Tipps immer rascher ins Gegenteil wechseln, boomt der pseudofachliche Markt und steigt die Unsicherheit bei Eltern.

Ich möchte das aufrichtige Bemühen von Eltern, den eigenen Kindern bestmögliche Entwicklungsbegleiter zu sein, in keiner Weise in Frage stellen. In Frage zu stellen ist vielmehr das Bestreben, natürliche Eltern-Kind-Beziehungen sozusagen vorbeugend mit Ängsten und Unsicherheiten zu belasten, um sie als Zielgruppe zu gewinnen.

 

Was im Reigen der Bassena-Einsichten gänzlich fehlt, ist die Bestärkung von Eltern. Darauf zu vertrauen, dass sie selbst am besten wissen, was im Moment richtig ist. „Es“ richtig zu machen bedeutet nämlich zumeist authentisch = „ich selbst“ zu sein. Ein Mensch sein!

Mit Stärken, Fehlern, Vorlieben, Gefühlen, Wünschen, Bedürfnissen und Hoffnungen.

Bemüht, dem Kind stets mit Achtung und Liebe gegenüberzutreten.

Bereit, die sorgende Verantwortung für das Kind zu tragen und es in seiner Entwicklung zu unterstützen.

Gewillt, die auftretenden und notwendigen Konflikte gemeinsam durchzustehen und zu lösen.

 

Meiner Ansicht nach bedeutet „gute“ Eltern und Erzieher zu sein vor allem: die souveräne Größe zu haben, sich selbst und dem Kind einzugestehen, dass man „nur“ ein Mensch ist. Dass man trotz bester Absichten auch Fehler macht, diese bedauert und deshalb mit Stolz bemerkt, was dem Kind alles gelingt. Dass die Liebe zum Kind so stark ist, dass sie niemals ins Wanken gerät.

 

In diesem Sinne sind gegenseitige Toleranz und verzeihendes Miteinander Grundhaltungen und Ausdruck eines liebevollen Umganges, den man auch Partnerschaft nennen kann. Überforderung, Ratlosigkeit und Hilflosigkeit eines oder mehrerer Familien-Beziehungs-Partner hat somit nichts mit Versagen zu tun, sondern stellt lediglich neue Anforderungen an alle.

 

Schwierige Situationen und ungewöhnliches Verhalten von Kindern sollte frühzeitig Anlass sein, fundierte Beratung und Hilfestellung zu suchen. Professionelle Hilfe bietet niemals Patentrezepte, sondern bemüht sich, mit allen gemeinsam, um individuelle Lösungen. Und diese helfen nicht nur den Eltern, sondern vor allem dem betroffenen Kind.

Wer sich für psychologisch-pädagogische Fachliteratur interessiert, sollte sich primär an die im Buchhandel erhältlichen Originale halten und publizistische Neu- & Teilinterpretationen nicht mit neuen Erkenntnissen verwechseln.

 

Anmerkung:
»Bassena« nennt (nannte) man in Wien die Wasserleitungen (Entnahmestellen), die früher in Mietshäusern auf den Gängen waren, je Stockwerk eine. Da sich die BewohnerInnen dort zwangsläufig treffen mussten, waren sie Zentrum der Kommunikation und natürlich auch des Klatsches, der unaufgeforderten Ratschläge und Kommentare.

 

Homepage der Autorin Heide Rohringer:
ICHDUWIR – Kindertheater

 

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