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Leserbrief von Jutta Riedel-Henck zu »Rektor kämpft gegen die VGS: Verlässliche Grundschule in Selsingen weiter umstritten – Neuer Elternrat soll befragt werden«. Zevener Zeitung, 25.8.2001

„Nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen wir!“ Müsste ich fern des Lebens mein Wissen aus der Zeitung beziehen, was für ein erschreckendes Bild prägte sich in mein Gehirn: Kämpfende Rektoren, die der Lehrerschaft ihre Meinung aufzwingen, rücksichtslos gegen Elternschaft und Schulträger agieren, um womöglich dem weit verbreiteten Vorurteil Nahrung zu liefern, Lehrer seien faul und hätten nichts anderes im Sinn, als ihre Freizeit mit Rudern und ausgedehnten Kulturreisen zu verbringen, während unsere armen Kinder zunehmend verwahrlosen.

Gott sei Dank beziehe ich meine Erfahrungen nicht aus dem Lesen von Zeitungsberichten, sondern der Realität, zwischenmenschlichen Gesprächen und Kontakten sowie der Teilnahme an Elternabenden und von der Schule organisierten Veranstaltungen.

Bereits vor den Osterferien lud Herr Neblung, Rektor der Grundschule Selsingen, alle Eltern zu einer Informationsveranstaltung zum Thema „Verlässliche Grundschule“ ein, die Pausenhalle war gefüllt von neugierigen Besuchern, die Stimmung ruhig und gelassen. Eher zurückhaltend erörterte der Rektor den Anwesenden die inhaltlichen Neuerungen des zur Diskussion stehenden Konzeptes, verglich sachlich und ins Detail gehend das Pro und Contra sowie die zur Verfügung stehenden Mittel und Möglichkeiten zur Umsetzung der Theorie in die Praxis.

Zweifel kamen auf: aus Reihen der Elternschaft! Wie ist das mit den Schulbussen? Sind die nicht rappelvoll, wenn alle zur gleichen Zeit ...? Wer könnte als Vertretung einspringen, kurzfristig, wie werden das die Kinder aufnehmen, vor allem, wenn der Lehrer im Ernstfall zwischen zwei Klassenräumen hin- und herflitzt, weil es einfach an real existierenden und zum Zeitpunkt des Notbedarfs einspringenden Aufsichtskräften fehlt?

Naiv und subjektiv befangen wie eine Mutter nun mal empfindet, machte ich mir Sorgen um das Wohl meiner Tochter, die schon heute an manchen Tagen mit hochrotem Kopf aus dem überfüllten Schulbus steigt, die zu ihrem zuverlässigen Lehrer eine persönliche freundschaftliche Beziehung aufgebaut hat und sofort mit Unsicherheit, schlechter Laune und seelischen Spannungen reagiert, wenn das Gewohnte aus den Fugen gerät und nicht mehr überschaubar wirkt.

Die so propagierte „verlässliche Grundschule“ wirkt im Vergleich zu der Verlässlichkeit gegenwärtiger Angebote geradezu chaotisch, und dies in einer Zeit, da die Notwendigkeit von Grenzen, Regeln, Ritualen und Vertrauen in klare Rhythmen und Strukturen in der Pädagogik schon fast als Klassiker rangiert.

Kinder brauchen Menschen als Lehrer, die noch Spaß am Unterrichten haben, statt wie austauschbare Zeitarbeitskräfte in realitätsfernen Kalkulationen platziert zu werden wie Zahlen in einem Mathematikheft.

Und wir Menschen brauchen Politiker, die bereit und fähig sind, den banalen Alltag von Lehrern, Rektoren, Eltern und Schülern aus dem Erleben heraus zu begreifen, statt über ihre Köpfe hinweg mit pauschalen Vorurteilen aufzuwarten und ihnen jede Chance zu einer fairen Auseinandersetzung zu nehmen.

Warum nicht mal einen Tag, eine Woche als Lehrer in der Grundschule Selsingen einspringen, liebe Politiker? Für das Leben lernen wir, und das gilt für jeden Berufsstand.

Jutta Riedel-Henck

 

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Leserbrief von Jutta Riedel-Henck zu: »Eklat im Schulausschuss Selsingen. Druck auf Schulleiter Neblung wächst« (BZ 25.8.2001) und Leserbrief von Lüer Schleßelmann »Warum dieser Widerstand gegen die VGS?«

„Demokratie zwischen Basis-Arbeit und Verwaltungsspitzen“ ... dieses Thema wäre mein Hauptanliegen, wenn ich in einer Schule für Erwachsene unterrichten würde.

Unbedarfte Eltern, die sich in politischen Gremien nicht auskennen und noch weniger wissen, in welcher Art und Weise Abstimmungen vollzogen werden, d. h. wer am Ende entscheidet, ob Modelle in die Praxis umgesetzt werden und warum, könnten den Meldungen der Presse leicht Glauben schenken und den Schulleiter Neblung als trotzendes Kleinkind abstempeln, mit dem ein Gespräch nicht möglich sei.

Die Rede ist von Elternschaft und Schulausschuss. Dass Elternschaft bzw. -rat nicht gleichzusetzen ist mit allen Eltern und der Schulausschuss nicht aus praktizierenden Lehrern besteht: wer weiß das? Dass die für zwei Jahre gewählten Elternvertreter auch unabhängig von der Mehrheit befragter Eltern ihre Stimme abgeben können: wer weiß das? Und welche Eltern haben die Möglichkeit, solche Entscheidungen, die schneller in der Presse erscheinen als per Mund-zu-Mund-Propaganda in ihre Ohren zu gelangen, zu hinterfragen?

Nein, Begriffe wie Schulausschuss und Elternrat haben schon für sich genommen einen Machtgehalt, und all jene, die dort keinen persönlichen Einblick, geschweige denn reale, lebendige Erfahrungen haben, müssen passen und sich der Darstellung in Presse, Funk und Fernsehen beugen.

Also ist der Rektor der Grundschule Selsingen ein aufmüpfiger Trotzkopf, basta, und wenn ich es denn glauben darf, laut Zeitungsbericht, wird von Schulausschussvorsitzendem Herrn Schleßelmann und dem stellvertretenden Samtgemeindedirektor Herrn Pape gedroht, die Verlässliche Grundschule auch mit Gewalt einzuführen.

Bitte, liebe Eltern der Grundschule Selsingen, zu denen auch ich mich zähle: Sucht das persönliche Gespräch mit den Lehrern eurer Kinder und dem Schulleiter! Geht direkt an die Basis und lasst euch nicht irre machen von diesen erschreckenden Zeitungsmeldungen! Ich habe mit dem Lehrer meiner Tochter sowie Herrn Neblung einige sehr aufschlussreiche, freundliche und von negativer Aggression völlig unbelastete Gespräche geführt und traue einfach meinen Augen nicht mehr beim Lesen der Zeitung ...

Jutta Riedel-Henck

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