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REZENSION 25

Karl Gebauer

Anders lernen
Modelle für die Zukunft

248 Seiten, kartoniert
€ 16,90
Düsseldorf: Walter, 2005
ISBN 3-530-40181-1

Manche Bücher lesen sich in einem Rutsch und hinterlassen einen gleich bleibenden Eindruck. Andere liegen auf meinem Schreibtisch oder daneben im Regal, ich blättere darin, lese einige Absätze, probiere lesend in der Mitte, am Ende oder durch zufälliges Aufschlagen auf der Suche nach einem Einstieg, der mich bzw. meine Aufmerksamkeit gefangen nimmt. Nicht immer gelingt das sofort.

Mit dem Buch »Anders lernen« erging es mir ähnlich. Obwohl der Herausgeber Karl Gebauer, ein inzwischen anerkannter Autor und Herausgeber pädagogischer Literatur, die Beiträge in seinem Buch sensibel einführt, übersichtlich gestaltet und mit kurzen Zusammenfassungen vorwegnimmt, blieb ich oft hängen oder schweifte innerlich von dannen.

Es begann mit dem ersten Artikel von Reinhard Kahl, dem Journalisten, dessen Film »Treibhäuser der Zukunft« in jüngster Vergangenheit zu einem populären Medienereignis avancierte (»muss man gesehen haben!«). Auch in einer der vergangenen Gesamtkonferenzen der Schule meiner Tochter wurde er gezeigt. Schön, wunderbar, ja … doch unter den gegenwärtig herrschenden Bedingungen mehr oder weniger ungreifbare Utopie, schwebte als kaum zu widerlegende Meinung in der Luft …

Ich persönlich stieß mich an dem Begriff »Treibhaus«, mit dem ich eine Käseglocke assoziiere, unter der, abgeschirmt vom rauen Alltag mit seinen Ecken und Kanten, Kinder wie in einem Puppenhaus Hege und Pflege erfahren, eine heile Welt der freien Kreativität genießend, während draußen der harte Kampf ums Siegen und Geldverdienen droht.

 

    Reinhard Kahl:

    »Treibhäuser sind Orte, an denen Zukunft entsteht, weil Kinder und Jugendliche dort ganz gegenwärtig sind und weil ihre Neugierde Gelegenheit erhält am Wissen, das die Tradition bereit hält, anzuknüpfen.« (S. 28)

 

Treibhäuser sind aber auch Orte eines künstlichen Klimas, das verwöhnt … ich denke an die schönen bunten Blumen im geheizten Zimmer … die Blattläuse bekommen, weil deren natürlichen Feinde draußen bleiben …

Dass die Schule von heute (und jene von gestern) ein Ort der Spannungen, Ungerechtigkeiten und fehlerhaften Pädagogik ist, wird kaum jemand bestreiten mögen. Auch die Kritik an der gegenwärtigen Politik der Kultusministerien ist berechtigt, natürlich brauchen wir kleinere Klassen, weniger Bewertungen, zensurenfreie Oasen, mehr Zeit für Ungeplantes … ja, ja, ja. Über die Ziele, ein Konstrukt der Zukunft, lässt sich schnell einig sein. Doch das Jetzt offenbart mir ein zähes Ringen im Kleinen.

Während ich das Buch mit neuen Anläufen zur Hand nehme mit dem festen Vorsatz, mich jeder Zeile zu widmen, saugen sich meine Gedanken in die Realität der Klasse meiner Tochter, wo es Spannungen zu lösen gilt, die fern der staatlichen Bildungs-Institution und PISA-Studien herrschen und womöglich schon immer geherrscht haben. Treffen mit Eltern und Schülern werden organisiert, Gespräche gesucht … und immer wieder fährt es mir durch den Kopf, dass hier kein spezifisches Schulproblem sein Unwesen treibt, sondern ein Mangel an Kommunikation und sozialem Austausch.

Ich vernehme viele Lehrer und Lehrerinnen mit der Bereitschaft, sich zu engagieren … in einer ganz normalen Schule ohne Modellcharakter, Eltern und ihre Offenheit für Begegnungen, aufgeweckte Schülerinnen und Schüler … lebendig … und denke: Ist das nicht normal? Gehört es nicht zum Leben, das Probleme-Haben und Lösen? Ob in der Schule oder im Kindergarten, im Betrieb, vor dem heimischen Herd … Müssen wir uns wirklich übermäßig um die Schule der Gegenwart sorgen, als sei unser Bildungswesen eine einzige Katastrophenlandschaft?

Inzwischen habe ich es bis zur letzten Seite des Buches geschafft. Ich fand immer wieder Stellen, die mir Freude beim Lesen bereiteten mit Bezug zur greifbaren Realität (der »Aha-Effekt« – »Ja, das kenne ich« – »Gute Idee, das lässt sich umsetzen« …). Manche Texte schienen wie literarisch spielerische Reflexionen über die selbst erlebte Praxis, weniger aber als Dokumente zum Nachvollziehen oder –machen für Außenstehende. Häufig fehlte mir ein Bezugspunkt, manchen Ausführungen konnte ich mangels Hintergrundwissen kaum folgen. »Insiderwissen« … kam mir als Begriff in den Sinn, während ich mich als Außenstehende vom Inhalt entfernte.

»Dieser Band stellt eine Reihe von innovativen Modellen aus der Praxis vor, die Wege aus der Bildungsmisere zeigen« (Buchrückseite). Die »Reihe« habe ich nicht gefunden, durchaus aber wertvolle Anregungen zum Weiterdenken ohne Seriencharakter. Jeder wird darin etwas finden, das seiner eigenen Lebens-, Arbeits- und Sichtweise am nächsten ist, um von dort weiterzuforschen und probieren – wenn die Zeit es zulässt.

Jutta Riedel-Henck, 11. April 2006

 

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