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REZENSION 24

Karl Gebauer

Mobbing in der Schule

160 Seiten, kartoniert
€ 14,90
Düsseldorf u. Zürich:
Walter, 2005
ISBN 3-530-40180-3

Ich weiß nicht mehr, wann ich den Begriff Mobbing zum ersten Mal vernahm. Seine Handhabung schien mir wie eine Modeerscheinung, um ein längst bekanntes Phänomen in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu rücken.

Im Internet stieß ich vor etwa fünf Jahren auf Seiten, die Mobbing aus verschiedenen Perspektiven thematisierten. Verwundert beobachtete ich, wie Gemobbte sich mobbend als Mobbing-Experten anboten, um vermeintlichen Opfern Orientierung zu bieten.

Mobbing ist ein soziales Phänomen, schreibt der Pädagoge und Autor Karl Gebauer in seinem neuen Buch.

 

    »Der Begriff Mobbing kommt von engl. „to mob“ = schikanieren, anpöbeln. Mobbing bedeutet, dass eine Person belästigt und ausgegrenzt wird (Alsaker 2005). Die gemobbte Person gerät in eine hilflose Position. Bei Mobbing spielt auch der Zeitfaktor eine wichtige Rolle. Man spricht nur dann von Mobbing, wenn die Schikanen systematisch und wiederholt auftreten und sich über einen längeren Zeitraum erstrecken. Einmalige Erlebnisse dürfen daher nicht als Mobbing angesehen werden. Auch wenn zwei etwa gleich starke Parteien in gewalttätige Auseinandersetzungen geraten, spricht man nicht von Mobbing.« (S. 29)

 

Wie schwierig und komplex die Wahrnehmung solcher Unterdrückungsmechanismen in der Realität ist, erläutert Karl Gebauer mit Hilfe zahlreicher Fall-Beispiele. Die Tücke erfolgreicher Mobbingprozesse äußert sich in den feinen Nuancen zwischenmenschlicher Kommunikation, so dass Außenstehende erst aufmerksam werden, nachdem die Opfer bereits eine lange Leidensphase schweigsam erduldet haben, um ihrer Not durch Leistungsabfall, Krankheit oder Schulverweigerung Ausdruck zu verleihen.

In der Schule sind vor allem die Lehrer/innen gefordert, genau hinzuschauen und bereits kleine Verhaltensauffälligkeiten ernst zu nehmen.

 

    »Wichtig ist die Beachtung der Verhaltensmuster, nach denen die Schülerinnen und Schüler in Mobbingsituationen handeln. Damit sind jene Muster gemeint, die sich im Laufe der Kindheit aufgrund vieler Alltagserfahrungen mit anderen Menschen als innere Handlungsmethode ausgebildet haben – mit ihren Eltern, mit Erwachsenen im nahen Umfeld, mit anderen Kindern und mit ihren Erzieherinnen im Kindergarten (vgl. Kapitel 3). Zunächst ist es jedoch wichtig, dass erwachsene Personen die Signale verstehen, die Kinder in Mobbingsituationen aussenden, und dann die entsprechenden Konsequenzen für ihr Handeln ziehen. Das gelingt leider nicht immer.« (S. 12)

 

Gebauer denkt und schreibt praxisbezogen, seine Erkenntnisse und Beobachtungen entwickelte er aus eigener pädagogischer Erfahrung sowie in zahlreichen Gesprächen mit Schülerinnen und Schülern, Eltern, Kolleginnen und Kollegen. Er bietet Ratsuchenden keine einfachen Rezepte, aber durchaus nützliche Tipps und Ansätze zum Ausprobieren und Nachvollziehen.

Besonderes Augenmerk richtet er auf die emotionale Kompetenz der Pädagogen, welche in der Lehrerausbildung zu berücksichtigen sei, um mit den vielfältigen gruppendynamischen Prozessen konstruktiv umgehen zu lernen.

 

    »Mobbingprozesse sind natürlich nicht gut zu heißen, aber da, wo sie auftreten, sollte man sie zu Lernereignissen machen. Es muss Ziel schulischer Pädagogik sein, die bei Mobbing ablaufenden äußeren und inneren Vorgänge in ihrem Zusammenwirken zu verstehen. Somit erhalten Schülerinnen und Schüler die Chance, psychosoziale Kompetenzen zu erwerben. Aufgedeckte und bearbeitete Mobbingsituationen ermöglichen die Aneignung psychosozialer Kompetenz und stellen in der weiteren Entwicklung einen Schutzfaktor dar. Unbeachtete und unbearbeitete Mobbingsituationen hingegen können ihre destruktive Wirkung auf die beteiligten Kinder voll entfalten. Kein Kind, das im Kindergarten oder in der Grundschule anfängt zu mobben, muss sich zu einem brutalen Mobber entwickeln, wenn Eltern, Erzieherinnen und Lehrer mit solchen Situationen konsequent umzugehen lernen. Der personelle und zeitliche Aufwand lohnt sich, wenn man an die emotionalen, sozialen und gesundheitlichen Folgen von Mobbing denkt.« (S. 156)

 

Ergänzend möchte ich anmerken, dass nicht nur Schülerinnen und Schüler, sondern vor allem Eltern und Lehrer/innen durch eine offene Auseinandersetzung mit Mobbing gefordert sind, eigene Verhaltensmuster zu reflektieren und in Frage zu stellen, um verborgenen Machtstrukturen, in denen sie als Täter und/oder Opfer fungieren, selbstkritisch auf den Grund zu fühlen.

Jutta Riedel-Henck, 17. September 2005

 

 

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