Nachdenklich, immer wieder nachdenklich hat mich die Lektüre dieses Buches gestimmt. Auch in diesem Moment sitze ich da und denke nach. Was soll ich schreiben? Hat der Autor nicht geschrieben,
was ER schreiben wollte? Muss ich das kommentieren? Zerstöre ich damit nicht die Stimmung, seine Stimmung, jene Atmosphäre, die in ihm und um ihn herum wirkte, als er schrieb und seinerseits nachdachte?
Dieses Buch wirkt sehr persönlich. Das ist in manchen Kreisen verpönt. Persönlichkeit wird gerne gleichgesetzt mit selbstbeweihräucherndem Subjektivismus. Von Weihrauch ist bei Wolfgang Bergmann allerdings kein Hauch zu riechen. Vielmehr wagt er die Offenbarung seiner eigenen Sensibilität, seiner Gefühle zwischen Angst und Freude, und dies ohne enthusiastischem Übereifer eines Menschen, der andere zu überzeugen wünscht. Vielmehr sucht der Schreibende durch stete Reflexion ein Gleichgewicht zu halten zwischen sich und der Welt, indem er auf die Erkenntnisse der Wissenschaft zurückgreift, um sie mit eigenen Erfahrungen und Beobachtungen sinnvoll zu verbinden und dabei anschaulich zu neuem Leben zu erwecken.
»Die Kunst der Elternliebe« … – jene persönliche des Autors Wolfgang Bergmann rankt sich um die Liebe zu seiner Tochter – oder ist es die Liebe des Kindes zu seinen Eltern? Eine Frage, die mir beim Lesen viele Male ins Bewusstsein drang: Was wiegt stärker? Die Liebe der Eltern oder die des Kindes?
Und ist es nicht vielmehr eine Kunst, sich der Rührung des eigenen Herzens zu entziehen beim Anblick eines in sich versunken spielenden Kindes, dem Augenblick ergeben, dessen Glück so ganz und
gar von uns Erwachsenen und ihrem Verhalten abhängt?
Wie weit entfernt müssen wir Menschen uns von der Natur und ihren Schätzen haben, dass wir uns lesend auf die Suche begeben nach dem, was einem Kind so selbstverständlich scheint. Aus Sicht der
Erwachsenen bekommt das Spiel des Kindes einen »sinnlosen« Stempel im Vergleich zum Gegenpol »wichtige Arbeit«. Und die Liebe der Eltern den Aufdruck Kunst, während das Kind einfach nur seiner Natur
folgt, die wir Alten mit Hilfe des Intellekts zu be-greifen suchen, um unsere sinnliche Wahrnehmung zu vernachlässigen.
»Die Natur der Elternliebe« hätte mir als Titel nicht nur besser gefallen, sondern würde auch dem Bestreben Bergmanns gerechter, der auf eben diesen steten Widerstreit zwischen Kopf und Herz in
der Erziehung hinweist, um seinen Lesern (wie sich selbst) nahe zu legen, der Flut kinder- und liebesfeindlicher Ratschläge standzuhalten und sich stattdessen dem Moment und seiner Einzigartigkeit
hinzugeben – als Vater oder Mutter, Dankbarkeit zu empfinden für das Wunder Leben, geweckt durch die einfache Liebe des Kindes zur Welt, in der seine Eltern die Hauptrolle spielen.
»Es gibt eine ganze Serie von Erziehungsratschlägen, in Büchern, in Magazinen, im Fernsehen. Manche sind ganz vernünftig! Aber andere Grundregeln des Lebens scheinen mir erheblich wichtiger
[…].
Ich wünschte mir oft, dass Väter und Mütter, wenn sie so ungeduldig neben den Kleinen und ihren mühseligen Hausaufgaben hocken, wenn sie zornig über das unaufgeräumte Zimmer schimpfen, für
einen kleinen Augenblick neben sich treten. Für einen kleinen Augenblick sollten sie versonnen auf die Socke, die im Kinderzimmer seit Tagen in der Ecke liegt und nicht aufgeräumt wird, nur einmal
sollten sie kurz auf das beschmierte Heft, das so viele ungelenke und eifrige Zeichen ihres Kindes birgt, schauen und sich diesem einen Gedanken zuwenden: Die Socke und die Schriftzeichen, alles nur
einmal. Und dann nie wieder.« (S. 242-247)
Die Geschichte zwischen den beiden Absätzen dieses Zitates sollten Sie besser selber lesen … im Zusammenhang des so nachdenklich, traurig, aber auch zuversichtlich stimmenden ein-maligen Werkes
von Wolfgang Bergmann.
Jutta Riedel-Henck, 3. September 2005
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