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REZENSION 15

Wolfgang Schmidbauer

Therapy on Demand
Narzissmus und bedarfsorientierte
Psychotherapie

240 Seiten, Hardcover
€ 19,90
Düsseldorf u. Zürich:
Walter, 2005
ISBN 3-530-42190-1

Als Nicht-Involvierte der gegenwärtigen »Therapie-Szene« reagierte ich mit einem imaginären Achselzucken beim Lesen des Titels »Therapy on Demand«, ins Deutsche übersetzt: Therapie nach Bedarf. Der Begriff »on Demand« ist mir seit wenigen Jahren vertraut im Umgang mit Büchern und ihrer bedarfsorientierten Produktion: Books on Demand. Durch die Erfindung eines neuen Digitaldruckverfahrens wurde es möglich, Bücher in hoher Qualität zu erschwinglichen Preisen einzeln drucken und binden zu lassen, Investitionskosten sind gering, Lagerräume überflüssig, Angebot und Nachfrage sinnvoll aufeinander abgestimmt, so dass auch Kleinstauflagen und Werke mit erwartungsgemäß geringem Absatz eine Chance erhalten, ihr spezifisches Leserpublikum zu erreichen.

Eine Psychotherapie, so glaubte ich, sei alles andere als ein Geschäft mit Waren, sondern die lebendige Begegnung von Menschen, welche sich in Form und Inhalt weder kopieren noch vervielfältigen ließen, geschweige denn als Produkt einer Bücherpresse in den Handel gelangen.

Wenn schon Therapie, so schien mir eine »Therapy on Demand« bisher selbstverständlich, wer sonst sollte eine Therapie beanspruchen als jene, welche das Bedürfnis haben, sich selbst besser kennen und vor allem lieben zu lernen?

Doch so selbstverständlich meine naive Sicht scheint, so verworren wirkt das Geflecht zwischen Menschen, die Probleme haben sich anzunehmen, Frieden zu schließen mit seelischen Verletzungen und Kränkungen, um an der Pflege und Stärkung gesunder Beziehungen zu arbeiten und sich dabei helfen zu lassen von erfahrenen, befähigten und verantwortungsvollen Menschen, die ihre Berufung im Beruf des Therapeuten ausüben.

Dass »Therapy on Demand« keine Selbstverständlichkeit ist, wird seine berechtigten Gründe haben, die sich aus der Komplexität der menschlichen Psyche und ihrer Reaktionen auf Verletzungen ergeben. Das Bedürfnis, über einen Menschen grenzenlos zu verfügen wie einst das Ungeborene im Leib der Mutter, ist verbreitet, seine Befriedigung ebenso utopisch wie die Realisierung einer zweiten Geburt als Ersatz für eine misslungene erste. So groß die Sehnsucht nach »Wiedergutmachung« oder Ungeschehenmachen erlittener sowie ausgeübter Verletzungen sein mag: Verzeihen ist nicht gleich Vergessen, Erinnerungen bleiben erhalten, ihr Auslöschen-Wollen käme dem Bestreben eines Selbstmörders gleich, dessen Destruktivität wir täglich in Massen unausweichlich vorgeführt bekommen: Sucht als Krankheit oder Krankheit als Sucht, sich selbst zu zerstören, ohne dabei draufgehen zu wollen.

Narzissmus, fast ein »Zauberwort«, um das Definitionen und Mythen ranken, seine Anwendung trägt seltener zur Lösung des Problems bei, als dass sich durch ihn Bestempelte erneut gekränkt fühlen mit der Reaktion heftiger Abwehr all jener, die es wagen, von einer seelischen Störung oder gar Krankheit zu sprechen. Krankheit gilt als Schuld und Niederlage, Gesundheit als Verdienst, dem Anerkennung gebührt. Dass Kinder nie gefragt werden, ob, wie und von wem sie gezeugt und geboren werden wollten, geht in diesem Kampf ebenso unter wie die Fähigkeit, in linearen Zeitstrukturen zu denken, vor allem aber zurück zu verfolgen, wann, durch wen und auf welche Weise das Selbstgefühl seinen nachhaltigen Schaden nahm.

Biographie-Arbeit, die Sichtung und Klärung persönlicher Lebensgeschichten wird gerne abgewertet mit der Begründung, dass die Vergangenheit sich ohnehin nicht ändern ließe. Doch die Gegenwart mit ihren zwanghaften Wiederholungsmustern und –taten spricht von selbst: Sie baut auf dem, was wir im Gestern speicherten, davon abweichende neue Impulse haben keine Chance sich zu entfalten, wenn wir uns weigern, Erinnerungen und Erfahrungen rückblickend zu prüfen und analysieren, um aus Fehlern zu lernen und ungewohnte, davon abweichende Schritte zu wagen.

Das Jetzt zu arrangieren, Sargdeckel zu öffnen, aber auch schließen, wenn die Zeit es verlangt, Arbeit zu organisieren und nicht in einem Chaos von (Un-) Tätigkeiten herumzuirren, bedarf unseres Bewusstseins und der Bereitschaft, das Menschliche mitsamt seiner Schwächen und Fehler als Normalität zu begreifen, deren Richtschnur nur dann zur Stolperfalle gerät, wenn wir sie vom Boden der Realität entfernen, um sie als bedrohliche Hürde zwischen Messlatten zu spannen. Die Gefahr ist groß, den mühevollen Weg aus den Sinnen zu verlieren, während der Patient Heilung erhofft wie ein Hochleistungssportler den endlichen Sieg seiner Weltmeisterschaft.

»Therapy on Demand« – ein Titel, der besetzt wirkt von der wirtschaftlichen Bedeutung schnelllebiger, kurzfristig durchführbarer Warengeschäfte jeder Art. Ich hätte sie »Therapie der kleinen Schritte« genannt. In Verbindung mit dem Cover-Bild eines in den Himmel rufenden oder gar betenden Sonnenbrillenträgers mit rosa getönten Gläsern und ausgestreckten Armen würde ich eher ein Buch über den Esoterikwahn und seine religiös lockenden Heilsversprecher erwarten.

Lassen Sie sich von diesen Äußerlichkeiten nicht irre führen: Der Inhalt des Buches ist das Werk eines kompetenten, erfahrenen und verantwortungsvollen Psychoanalytikers und in jeder Hinsicht lesenswert!

Jutta Riedel-Henck, 24. Januar 2005

 

Weiterführende Links:

Mehr Infos zum Buch beim Patmos-Verlag

Homepage des Autors Wolfgang Schmidbauer

 

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