Ein weißes Blatt Papier, eine weiße Fahne: als Zeichen des Friedens. Eine Leinwand als Projektionsfläche. Was sehen wir nicht alles trotz der Bilderlosigkeit? Oder am Abend, wenn wir im Bett
liegen und den Tag Revue passieren lassen vor unserem inneren Auge. Abschalten, an nichts mehr denken … wenn es nur ginge.
Jeder von uns kennt sie, die inneren Bilder. Gerade jetzt: Sie sehen konkret nur ein paar Buchstaben in einer von mir gruppierten Formation. Einfache gedruckte Zeichen ohne Schnörkel, kein
lachendes Gesicht. Und doch lacht etwas beim Lesen dieses Begriffes, vorausgesetzt, Sie kennen die deutsche Sprache und wissen, was Lachen bedeutet, bedeuten könnte. Was für ein Lachen? Laut, leise,
stolpernd, wiehernd, schallend, verhalten oder gar hämisch? Ohne einen Speicher von inneren Bildern wären diese Zeichen für den Leser bedeutungslos.
Für sich allein erscheinen die Bilder in unserem Inneren so normal, dass wir sie selten bewusst wahrnehmen, es sei denn, wir suchen das Gespräch mit uns selbst, nach innen schauend. Wer sich
die Zeit nimmt, mag sich wundern, was er alles sieht, während seine Augen auf ein weißes Blatt gerichtet sind. Ein Maler würde vielleicht zum Pinsel greifen, ihn in Wasser und Farbtöpfe tauchen, um die
Bilder aus seinem Innenleben nach außen zu kehren, indem er die Pinselhaare über das Papier zieht, sanft oder gar hastig die Hand bewegend. Was mag dabei herauskommen? Ein Haus, ein Baum? Oder ein wildes
»Kriggel-Kraggel« ohne Ähnlichkeit mit konkreten Gegenständen?
»Das ist ja nur Kriggel-Kraggel«, meinte ein Junge, als ich meine damals dreijährige Tochter im Kindergarten abholte. Der Junge war etwa drei Jahre älter als Jana und bat, ich solle mich zu
ihnen an den Tisch setzen, damit wir noch ein wenig reden könnten. Er wirkte wie ein höflicher erwachsener Gastgeber. Auf seinem Blatt sah ich ein Auto, das Papier von Jana bot ein Durcheinander gerader
und kreisender bunter Linien. Jana kannte es von uns Eltern, dass wir ihre Bilder interessant fanden. Nun aber wirkte ihr Gemälde im Vergleich zum Auto des Älteren wertlos. Es nützte wenig, dem Jungen zu erklären, wie sinnvoll das freie Malen sei, wie viel Freude es mache, drauf los zu zeichnen und sich von dem Ergebnis überraschen zu lassen. Das Auto galt als etwas Richtiges, und meiner Tochter blieb nichts anderes übrig, als diesen Wettbewerb anzunehmen mit dem Ziel, Autos zu malen.
Heute kann sie besser zeichnen als ich. Ob es die Erfahrung der Konkurrenz oder ihre inneren Bilder waren, die sie
zum ehrgeizigen Üben trieben, oder auch beides, kann ich kaum beurteilen. Während sie zu Beginn ihres Lebens von innen nach außen malte, öffnete sie sich zunehmend den Eindrücken der Umwelt, um das Außen
in ihr Inneres zu lassen und beides miteinander zu befreunden, was sie manch schwere Wutanfälle kostete und einen Papierkorb voller zerknüllter Blätter.
Und wie ergeht es uns bei der Auswahl von Büchern auf dem riesigen Markt gebotener Lektüre zu allen nur denkbaren Themen?
Zu internetfernen Zeiten war es notwendig, den Körper in eine Buchhandlung zu bewegen, um unter Einsatz vorhandener Sinnesorgane die dort ausliegende Ware auf sich wirken zu lassen. Vielleicht
kam eine freundliche Verkäuferin und empfahl ein Buch, das wir schließlich kauften, weil wir der sympathischen Frau einen guten Geschmack zutrauten. Oder ein Cover sprach uns an, dessen Gestaltung alte
Erinnerungen weckte, denen wir uns zu widmen gedachten. Die Möglichkeiten der Entscheidungs-Kriterien scheinen endlos. Eines haben sie gemeinsam: Das Wahrgenommene knüpft an bereits vorhandene Bilder
unseres Inneren, sie befriedigen zumindest einen Teil unserer Vor-Stellung, einer unbewussten geistigen Erwartungshaltung, deren Bestätigung zu emotionalem Wohlbefinden führt.
Heute, im Jahr 2004, gelangen Bücher, zumindest bei mir, durch das Medium Internet in meinen Fokus der Aufmerksamkeit. Hier auf dem Land gibt es nur kleine Buchhandlungen, deren Sortiment vor
allem durch Bestseller und andere populäre Literatur geprägt ist. Kein einziges Buch landete durch puren Zufall in meinen Händen, mit jedem verbinde ich etwas bereits Bekanntes, und sei es der Name des
Autors.
Wie Sie bereits an der Einleitung sehen, beruht die Wahl von »Die Macht der inneren Bilder« auf einer persönlichen Vorgeschichte und Liebe zur Thematik, die einen wichtigen Teil meiner durch
Lebenserfahrung gebildeten Vorstellungen anspricht, um mein Interesse spontan geweckt zu haben, als ich im neuen Prospekt des Verlages Vandenhoeck & Ruprecht blätterte: »Das muss ich unbedingt lesen!« Meine per E-Mail an die Presseabteilung gerichtete Bitte um Zusendung eines Rezensionsexemplares wurde prompt erfüllt, wenige Tage später flog ein leichter, unscheinbarer grauer Papp-Umschlag durch den Briefkastenschlitz unserer Haustür.
An diesem Buch stimmt eigentlich alles, von der Wahl des Papiers über die Seitenzahl bis zur Gestaltung des Covers, Inhalt und Form ergänzen einander »wie gewachsen«. Die Herkunft des
Titelbildes sei bewusst verschwiegen.
Eine Zusammenfassung dieses Werkes spare ich mir, da diese bereits vorliegt in Form eines einführenden Textes auf der Rückseite des Umschlages bzw. der Homepage des Verlages, zu der Sie durch
Anklicken dieses Links gelangen.
Auf der Internet-Plattform win-future.de, die der Autor Gerald Hüther mit seinem Kollegen Karl Gebauer ins Leben gerufen hat, finden Sie das ungekürzte erste Kapitel des Buches mit dem Titel »Vorbemerkungen: Wenn innere Bilder lebendig werden«.
Mir hat die Lektüre Appetit auf mehr gemacht. Ich bin sogar gewillt, meine brach liegenden, in der Schulzeit vernachlässigten Lerngewohnheiten bezüglich neurobiologischer Zusammenhänge zu
erweitern und mich einem bisher gemiedenen Bereich naturwissenschaftlicher Forschung zu öffnen, um meine Synapsen in neue Schaltabenteuer zu verstricken, eine Handarbeit, die nach dem Spinnen von Netzwerken bei Kaffee und Kuchen die Sozialkompetenz fördert bei gleichzeitigem Gebrauch meines vorderen Stirnlappens, der, so hoffe ich zumindest, ein interessanteres Muster aufweist als meine in der Schulzeit gehäkelten Topflappen aus gelb-weißer Baumwolle.
Jutta Riedel-Henck, 29. Oktober 2004
Weiterführende Links:
Mehr Infos zum Buch beim V&R-Verlag
»Vorbemerkungen: Wenn innere Bilder lebendig werden«
»Wohin, wofür, weshalb? Über die Bedeutung innerer
Leitbilder für die Hirnentwicklung« Tondokument eines Vortrages von Gerald Hüther vom 24. November 2003
Konferenz der Leiterinnen und Leiter niedersächsischer Sonderschulen
WIN-Future Wissenschaftliches, interdisziplinäres Netzwerk zur Förderung und Verbreitung fachübergreifender, zukunftsorientierter Erkenntnisse im Bereich
Erziehung und Bildung, das helfen will, eine Brücke zu schlagen zwischen Wissenschaft und Praxis. Gegründet von Prof. Dr. Gerald Hüther (Hirnforscher) und Karl Gebauer (Pädagoge und Sachbuchautor)
Weitere Bücher des Autors Gerald Hüther:
Biologie der Angst Wie aus Streß Gefühle werden
6. Auflage 2004 130 Seiten, Paperback € 15,90 ISBN 3-525-01439-2 Mehr Infos beim Verlag
Wie aus Stress Gefühle werden Betrachtungen eines Hirnforschers
Photographien von Rolf Menge 2. Auflage 2002 76 Seiten mit 26 Farbfotos und 2 Schwarzweiß-Fotos, gebunden
€ 15,90 ISBN 3-525-45838-X Mehr Infos beim Verlag
Bedienungsanleitung für ein menschliches Gehirn
4. Auflage 2004 139 Seiten, Paperback € 14,90 ISBN 3-525-01464-3 Mehr Infos beim Verlag
Die Evolution der Liebe Was Darwin bereits ahnte und die
Darwinisten nicht wahrhaben wollen
3., durchgesehene Auflage 2003 104 Seiten, Paperback € 14,90 ISBN 3-525-01452-X Mehr Infos beim Verlag
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