Kinder mit Sprachproblemen haben es schwer. Innerhalb der Familie spielt sich meist ein intuitiv gesteuertes Kommunikationsmuster ein, Mama, Papa, Geschwister und andere nahe stehende
Bezugspersonen lesen aus dem Gesicht, hören »zwischen den Zeilen«, wissen sich vielfältig und erfindungsreich auszutauschen, bedürfen nicht unbedingt einer klar artikulierten verbalen Aussprache, um sich
im alltäglichen Miteinander zu verständigen. Erst in der Begegnung mit Außenstehenden, Fremden, machen sich sprachliche Defizite häufiger bemerkbar, denn Sprache verbindet und: trennt.
Kein Wunder, wenn Eltern früher oder später den Vergleich antreten, da ihr Kind kaum oder gar nicht spricht, während sich Gleichaltrige aus der Nachbarschaft in ausschweifender Redekunst üben.
Dass Kinder verschieden sind und sich unterschiedlich entwickeln, wirkt als Beschwichtigungsversuch auftauchender Zweifel nur kurzfristig beruhigend. Spätestens mit Eintritt in den Kindergarten
und gewiss ab dem ersten Schultag offenbaren sich die Sorgen der Eltern als berechtigt, wenn ihr Kind noch immer mit der richtigen Wortfindung und ihrer Aussprache zu kämpfen hat, um seine Bedürfnisse
und Beobachtungen mitzuteilen.
Rita Steininger, freie Lektorin, Journalistin und Autorin, schreibt aus eigener Erfahrung. Ihr persönlicher Weg im Umgang mit den Sprachschwierigkeiten ihres Sohnes Paul zieht sich wie ein
roter Faden durch einen Ratgeber für Eltern, der sachlich, kompetent, umfassend und übersichtlich strukturiert über mögliche Hilfestellungen, Therapien und Fördereinrichtungen informiert. Sensibel,
differenziert und engagiert erzählt die Autorin in leicht verständlicher und komprimierter Form von den vielseitigen Angeboten zur Behebung unterschiedlicher Sprachprobleme bis hin zur
Wahrnehmungsstörung, ihren jeweiligen Vor- und Nachteilen, verbunden mit praktischen Beispielen und Zitaten Betroffener sowie behandelnder Therapeuten bzw. Pädagogen.
Das Buch gliedert sich übersichtlich in folgende Haupt-Kapitel:
- Einleitung
- Stationen der Sprachentwicklung
- Diagnose: Sprachentwicklungsstörung
- Logopädische Therapie – die Sprache entdecken
- Wie geht es weiter?
- Mit allen Sinnen begreifen
- Ergotherapie – die Motorik verbessern
- Heilpädagogik – sich selbst erfahren
- Psychomotorik – Körper und Seele in Bewegung
- Rhythmik – mit Musik kreativ werden
- Audio-Psycho-Phonologie – hören wie im Mutterleib
- Homöopathie – die andere Medizin
- Gesucht und gefunden – der ideale Kindergarten
- Schule – der sogenannte Ernst des Lebens
- Schulwechsel – wo soll es hingehen?
- Anhang mit weiterführenden Adressen und Literaturhinweisen
Besonders sympathisch und elternfreundlich erweist sich die persönliche Erfahrung der Autorin im Umgang mit entmutigenden und emotional belastenden Arztbesuchen, da vorurteilsbeladene
Bezeichnungen wie »Behinderung« leicht zu seelischen Verletzungen führen und das Selbstwertgefühl von Eltern und Kind erheblich aus dem Gleichgewicht zu geraten droht.
»Ein sonniger Tag im Oktober. Ich gehe mit Paul das erste Mal zu einem Kinderpsychiater. Das hat mir die Logopädin empfohlen, weil sie glaubt, dass bei Paul außer einer
Sprachentwicklungsstörung noch andere Entwicklungsverzögerungen vorliegen könnten. Nach der strapaziösen Untersuchung in der Universitätsklinik bin ich froh, dass sich die Sache diesmal lockerer
anlässt. In der Praxis des Arztes herrscht eine angenehme und freundliche Atmosphäre. Pauls anfängliche Scheu verfliegt rasch. Er verhält sich zwar schweigsam, lässt aber bereitwillig zu, dass der
Arzt ihn gründlich untersucht. Dann bin ich an der Reihe, diverse Fragen zu beantworten, während mein Sohn fröhlich mit Bauklötzen spielt. Am Ende bestätigt der Kinderpsychiater, was die Logopädin
vermutet hat. Er schlägt vor, es fürs erste mit einer heilpädagogischen Einzelförderung zu versuchen. Damit habe ich kein Problem. Doch dann fällt unvermittelt ein Wort, das mich heftig
zusammenzucken lässt: „Behinderung“.« (S. 81)
Dass eine solche Diagnose keinesfalls erniedrigend wirken muss, sondern vielmehr einer bürokratischen Besonderheit entspringt, sollte den Eltern bekannt sein:
»Eine heilpädagogische Förderung wird nämlich nicht von den Krankenkassen übernommen, sondern hier ist das Jugendamt zuständig. Die gesetzlichen Richtlinien verlangen als Voraussetzung für
die Kostenerstattung allerdings den Nachweis, dass das betreffende Kind „behindert“ oder „von Behinderung bedroht“ ist. Diesen Nachweis zu erbringen ist Aufgabe eines Kinderpsychiaters, einer
neuropädiatrischen oder einer kinderpsychiatrischen Fachklinik.« (S. 82)
Um all den möglichen Missverständnissen und emotionalen Verunsicherungen vorzubeugen, empfiehlt sich die Lektüre von Rita Steiningers Ratgeber nicht nur für Eltern auf der Suche nach geeigneten
Fördermaßnahmen, sondern ebenso für behandelnde Ärzte, Therapeuten, vermittelnde Pädagogen sowie Mitarbeiter von Jugendämtern und Krankenkassen, die bei der Überwindung gefürchteter Hemmschwellen
entscheidend dazu beitragen können, Kindern und ihren Eltern den für sie geeigneten Weg zur erfolgreichen Behebung ihrer Sprachprobleme zu weisen.
Jutta Riedel-Henck, 26. April 2004
Homepage der Autorin Rita Steininger:
http://www.rs-textredaktion.de
Rezensionen-Übersicht
Seitenanfang
© 2004 Jutta Riedel-Henck
|