»Pubertät« – ich bekenne … ein Begriff, den ich nicht selten in abfälliger Weise benutze, wenn ich über das Verhalten mancher Erwachsener spreche, die durchaus das Alter
jenseits der 50 oder gar 60 erreicht haben. Auch die Medien machen es mir leicht, pubertäres Verhalten an älteren Damen zu studieren, die kokett ihre figurbetonten Kostümchen präsentieren und dazu
aufreizend mit den Wimpern klimpern. Nicht zu verschweigen die auffälligen Posen des anderen Geschlechts in maßgeschneiderten Anzügen exquisiter Modedesigner, aufs Podest der Öffentlichkeit gehoben in
schlagzeilenträchtigen Skandalen rund ums Fremdgehen mit jungen Wurstverkäuferinnen oder Praktikantinnen bei sportlichen Büroaktivitäten in politisch machtvoller Position … planschende
Verteidigungsminister beim Fotoflirt, bekennende Tennis- und protzende Pop-Stars, zankende Ex-, Ex-Ex- und Ex-Ex-Ex-Geliebte berühmter überwiegend alkoholisierter Schauspieler …
Gemäß dem medialen Präsentationsgeschmack scheint die Pubertät eine schier endlose Entwicklungsphase der menschlichen Spezies bis ins hohe Rentenalter darzustellen,
publikumswirksam, aufregend, lebensfüllend, ablenkend von der alltäglichen Langeweile und Banalität gehorsamer Bürger und Bürgerinnen.
Warum also ist sie so gefürchtet, die Pubertät, d. h. jene Phase zwischen Kindheit und Erwachsensein, in der die »Kids« zu rebellierenden aufmüpfigen »Teenagern« mutieren
und ihre Eltern an den Rand der Verzweiflung treiben?
Das Buch Nervenprobe Pubertät: Wie Eltern sie bestehen können von Heidemarie Brosche, Lehrerin, Autorin und Mutter von drei Söhnen, bietet für solche und
andere Fragen vielseitige Anregungen in Form einer locker zusammengestellten Sammlung von Erfahrungsberichten, Expertenkommentaren, historischen Rückblicken und Sachinformationen rund um das Thema
Pubertät, ohne ein Ratgeber im herkömmlichen Sinne zu sein:
»Ein Buch, das das Pubertieren des eigenen Nachwuchses gelassener ertragen lässt, indem es dem Leser anhand einer Fülle verschiedenster Texte
- zeigt, dass er nicht allein mit seinen Problemen ist,
- bewusst macht, dass die Pubertät eine Phase ist, die vorüber geht und in den allermeisten Fällen ein gutes Ende findet,
- Denkanstöße gibt, die ihn sein eigenes Verhalten und Denken mit allen Prioritäten kritisch hinterfragen lässt und
- ihn dazu bringt, über sich selbst zu lachen.« (S. 4)
Dass die Pubertät sich nicht allein als Problem des Nachwuchses offenbart, sondern zugleich die Wandlungs- und Abnabelungsfähigkeit behütender Eltern herausfordert, geht
aus den Berichten betroffener Eltern ebenso hervor wie die Tatsache, dass eigene Erlebnisse aus Kindheit und Jugend entscheidend dazu beitragen, wie schmerzhaft oder gelassen das Abgrenzungsbedürfnis der
heranwachsenden Kinder empfunden wird. Geradezu heilsam scheint in solchen Fällen die Rückbesinnung auf selbst erlebte pubertäre Missetaten zu sein, inklusive durchlittener Stimmungsschwankungen und
konfliktgeladener Auseinandersetzungen im damaligen Elternhaus.
Das Gespräch suchen, eine gemeinsame Vertrauensbasis schaffen, sich einfühlen in den Jugendlichen, Halt geben und loslassen, Grenzen setzen und dennoch Freiheit gewähren,
und dies gemäß den besonderen Umständen stets neu überdenken – in keiner Phase der menschlichen Entwicklung scheint die Kunst einer ausgleichenden Erziehung mehr gefragt und gefordert als in jener der so
viel zitierten Pubertät, »vornehm« (aus dem Lateinischen) auch Adoleszenz genannt (adolescens: heranwachsend, jung).
Nervenprobe Pubertät bietet auch Nichteltern anregenden Lesestoff bei der Wiedererweckung unerledigter Generationskonflikte. Der lockere Sprachstil animiert auf angenehme Weise zur Rückbesinnung und Hinterfragung eigener Verhaltensweisen, Beobachtungen und zwischenmenschlicher Konflikte.
Am Ende des Buches wurde ich schließlich fündig hinsichtlich meiner eingangs erwähnten Gedanken. Kindern, die vor lauter Rücksichtnahme und Schonung ihrer zerbrechlich
wirkenden Eltern auf die Durchsetzung eigener Bedürfnisse und Wünsche nach Unabhängigkeit verzichten, fehlt in ihrer Erwachsenen-Laufbahn ein lebenswichtiges Training zur Konfliktbewältigung in jeder
Lebenslage. Aus dem einst verweigerten Entwicklungssprung wird ein chronisch schmorendes Stürmen und Drängen, dem die ausgelebte Konsequenz fehlt: das in unserer »aufgeklärten« Gesellschaft so
verbreitete »Hü-Hott«-Verhalten mit der Beschwörung ewiger Jugendlichkeit.
Gönnen wir unseren Kindern also ihren Sturm und Drang, wenn die Hormone grünes Licht dafür geben. Vielleicht erübrigen sich dann langfristig die
Zicken-Protz-Skandal-Präsentationen unserer blond gefärbten vollbusigen faltenfreien Super-Stars – und damit die Kämpfe um Vorbilder, die nachzuäffen wirklich blöd aussieht. Aber das wissen viele Kinder
und Jugendliche besser als manche Erwachsene ihnen zutrauen. So doof ist sie nämlich nicht, die »Jugend von heute«! Es sei denn, wir geben ihr keine Chance, sich so zu zeigen, wie sie wirklich ist.
Jutta Riedel-Henck, 16. November 2003
Weiterführende Links
Homepage der Autorin Heidemarie Brosche
Verlag und Stiftung »pro juventute«
Pubertät und Adoleszenz
von Ingomar D. Mutz und Peter J. Scheer
Rezensionen Übersicht
Seitenanfang
© 2003 Jutta Riedel-Henck
|